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Die künstlerische Praxis von Sébastien Gouju beruht
auf einer Technik der Dichotomie: Rückseite/Vorderseite,
Innen/Außen, echt/unecht, Hand/Maschine, Vorhandensein/Nichtvorhandensein. Es ist eine Technik,
die sich selbst aus einer Vielzahl spielerischer, kritischer
und physischer Techniken zusammensetzt. Da es in erster Linie um Wahrnehmung geht, um einen Prozess und das Begreifen, fordert der Künstler eine Vorstellungskraft
und eine Sensibilität ein, die im Begriff sind zu verschwinden. Das Spiel begründet die Kunstwerke. Daher jongliert
er gekonnt mit Referenzen, Territorien und Epochen
und bringt uns so dazu, den Formen und Gegenständen mehr
Aufmerksamkeit zu widmen. Er lädt uns ein, die Wirklichkeit
zu überdenken, indem er sich vor allem Gegenstände
und Motive aus einer vertrauten und alltäglichen Erfahrungswelt zu eigen macht. Ein Kartenspiel, bestehend aus 54 Teilen, wird beispielsweise ganz neu zusammengesetzt (Parties de Cartes, 2013). Der Karton weicht
der Edelstahlplatte. Das Erkennen der Farben, Figuren
und Symbole wird erschwert durch Pflanzenornamente,
die mit Laser ausgeschnitten wurden. Der Untergrund dringt durch. Eine echte Goldschmiedearbeit ist hier mit einer industriellen Maschine bewerkstelligt worden. Die Sache kippt. Das Kostbare steht plötzlich neben dem Seriellen.
Der Künstler hinterfragt das Verhältnis von Mensch
und Maschine, Handarbeit und industrieller Fertigung,
von Kunst und Kunsthandwerk im weitesten Sinn.
Dem Fertigungsprozess eines jeden einzelnen Teils, das eine Zusammenarbeit, eine Technik, ein Werkzeug bemüht, misst
er besondere Aufmerksamkeit bei. Zu den Werkzeugen,
die gewöhnlich im industriellen Bereich zum Einsatz kommen, gesellt sich ein spezifisches Know-how (Metall, Glas,
Keramik, Textil). Eine technische Schlacht zwischen
dem Auge, der Hand und der Maschine beginnt und bringt
eine ausgefeilte Ikonographie hervor, die ihren Ursprung
ganz offensichtlich im Kunsthandwerk hat. Auf dieselbe
Weise mischt die Serie Les Fleurs du Mal (2013)
die verschiedenen Wahrnehmungsregister.
Zwei als untergeordnet geltende Formate werden miteinander in Verbindung gebracht: Stickerei (mithilfe von industriellen Maschinen gefertigt) und Stillleben (tote Vögel
und Schmetterlinge liegen unter giftigen Blumen verstreut). Damit macht sich der Künstler über die falsche Handarbeit lustig und stellt die Frage nach der Fertigungsdauer eines Kunstwerks. Dauer und Rückkehr zur Handarbeit, die wir
in seinen sorgfältig konstruierten Zeichnungen beobachten. Indem er materielle und konzeptuelle Verschiebungen hervorbringt, verwischt Sébastien Gouju Spuren,
er durchsucht die Spielräume der künstlerischen Arbeit nach Möglichkeiten, den engen und eintönigen Gang zu weiten,
den er sich weigert entlangzugehen.
(Aus dem Französischen übersetzt von Helga Kopp) |